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Symposion wirft differenzierten Blick auf Calmeyers Rolle im Rettungswiderstand

Laborarbeit ist oft ein Experiment. Die Arbeit im „Friedenslabor“, das ab Ende 2023 in der Villa im Museumsquartier Osnabrück als geschichtlicher Lernort unser aller Demokratiefähigkeit auf die Probe stellt, festigt und vertieft, macht da keine Ausnahme. Wer hier forscht, spürt den eigenen Werten nach – und der eigenen Courage. Das ist herausfordernd, und dass dabei Konflikte zutage treten, ist nicht nur möglich, sondern Programm.

Ausgangspunkt für die zukünftige Arbeit im „Friedenslabor“ in der Villa am Heger Tor soll das Wirken von Hans Georg Calmeyer sein. Der Osnabrücker Rechtsanwalt war während des Zweiten Weltkriegs Teil der deutschen Besatzungskräfte in den Niederlanden und in Den Haag als Leiter des „Judenreferats“ bis Herbst 1944 zuständig für „rassische Zweifelsfälle“ der Gesamterfassung der jüdischen Bevölkerung des Landes. Ihm und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelang es, etwa 3.000 Jüdinnen und Juden vor der Deportation ins KZ und damit vor dem Tod zu bewahren. In hunderten Fällen half er jedoch nicht und schickte deshalb viele in den Tod. Einerseits war er also ein „Retter“ – 1992 wurde er von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem dafür posthum als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Andererseits war er ein Erfüllungsgehilfe des Holocaust.

Ab 2023 wird diese Ambivalenz in der zuvor baulich sanierten Villa im Rahmen einer neuen Dauerausstellung thematisiert. „Calmeyers Handeln lässt sich nicht eindeutig einordnen. Diese Schwierigkeit wird zum didaktischen Ausgangspunkt der neuen Ausstellung”, so Museumsdirektor Nils-Arne Kässens. Ein binational besetzter wissenschaftlicher Beirat unter Vorsitz von Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Universität Leipzig, unterstützt die Entwicklung von Ausstellung und Labor.

Um Calmeyers Wirken, das in der deutschen wie in der niederländischen Geschichtswissenschaft ebenso stark umstritten ist wie in der Osnabrücker Öffentlichkeit, angemessen einschätzen zu können, richtete das Museumsquartier Osnabrück am 6. und 7. Oktober 2022 das -Symposion „Formen und Dimensionen der Resilienz unter deutscher Besatzung 1939 – 1945“ aus.

„Mit dem Symposion hat die Stadt Osnabrück die Diskussion um Calmeyer versachlicht; die auf dem Symposion vorgestellten Forschungen brachten neue Perspektiven auf sein Wirken. Die künftige Ausstellung soll auf der Grundlage von aktuellen Forschungsergebnissen entwickelt werden und dafür war das Symposion ein wichtiger Schritt”, sagt Erster Stadtrat Wolfgang Beckermann.

 

Calmeyers Handeln im größeren Kontext

Die wissenschaftliche Tagung beschäftigte sich zunächst mit der Thematik des deutschen Besatzungsregimes in den Niederlanden als Aktionsraum Hans Georg Calmeyers. Hier ging es um das personelle Umfeld an niederländischen Unterstützern und Unterstützerinnen, in dem Calmeyer handelte. Die zweite Sektion widmete sich den Möglichkeiten und Grenzen des Rettungshandelns im besetzten Europa (1939–1945), um exemplarisch Vergleichsfälle zur Konturierung des Calmeyerschen Handelns aufzuzeigen. In der dritten Sektion konturierte das Symposion Konjunkturen der Erinnerungskultur sowie der geschichtspolitischen Auseinandersetzungen nach 1945 in Westdeutschland.

Namhafte nationale und internationale Fachleute bestritten das Programm: Els van Diggele, Amsterdam; Robert van Galen, Amsterdam; Dr. Christiane Goos, Göttingen; Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld, Stuttgart; Dr. Ulrike Jureit, Hamburg; Lioba Meyer, Osnabrück; Dr. Matthias Middelberg, Osnabrück-Berlin; Prof. Dr. Johannes Max von Ophuijsen, Amsterdam; Prof. Dr. Martin Sabrow (Potsdam/Berlin); Dr. Bettina Stangneth, Hamburg; Dr. Maria Vassilikou, Jüdisches Museum Griechenlands, Athen; Johannes Winter, Frankfurt/M.

Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats zur Neukonzeption der Villa Schlikker, präzisiert: „Uns war es wichtig, Calmeyers Wirken nicht isoliert zu betrachten, sondern es in einen grösseren Kontext von Verwaltungshandeln zu stellen und mit anerkannten Kolleginnen und Kollegen wissenschaftlich fundiert zu diskutieren. Wie erwartet, haben wir vom Symposion wesentliche Anregungen für die Diskussionskultur im zukünftigen Friedenslabor erhalten können.“ Ein wichtiges Stichwort war hier, künftig an dem neuen Lernort vor dem Hintergrund der Geschichte soziale Aufmerksamkeit zu schulen.

Dass die Thematik um Shoah und auch Calmeyer nicht emotionslos von statten gehen konnte, zeigte der Verlauf des Symposions deutlich. Unterschiedliche Positionen trafen aufeinander, unabhängig von der Nationalität der Diskutierenden. Dort, wo es um das Schicksal geretteter oder nicht geretteter jüdischer Menschen aus den Niederlanden ging, wurde es mitunter sehr emotional; teils wurde es still, wenn niederländische Überlebende des Holocaust oder Betroffene über das eigene Schicksal oder das ihrer Familienmitglieder berichteten.

Nach dem Symposion tagte der wissenschaftliche Beirat. Die Mitglieder diskutierten über die Auswirkungen der Ergebnisse des Symposions für die künftige Ausstellungskonzeption und die Benennung der Villa im Museumsquartier. Im Beirat gab es einen Konsens darüber, dass die Benennung des Hauses den verschiedenen Perspektiven auf Calmeyer Rechnung tragen sollte. In den kommenden Wochen werden in Arbeitsgruppen Namensvarianten entwickelt. Diese sollen dann abschließend noch einmal gemeinsam im Beirat diskutiert werden, bevor dem Rat der Stadt Osnabrück ein Vorschlag unterbreitet wird.

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