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Felix Nussbaum, Selbstbildnis an der Staffelei, 1943, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Wenn ich untergehe – lasst meine Bilder nicht sterben“: Wie kein anderer Künstler der ersten Jahrhunderthälfte hat der 1904 in Osnabrück geborene und 1944 in Auschwitz ermordete Maler Felix Nussbaum alle Erfahrungen der Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg in seinen Bildern festgehalten und als Teil seiner eigenen Situationen reflektiert, in die der Künstler als Jude durch die rassistische Ideologie des nationalsozialistischen Deutschland hineingestoßen wurde. Kein Betroffener hat den Holocaust der Juden in Europa künstlerisch dokumentiert wie Nussbaum. Für ihn wurde in seiner aussichtslosen Situation Malerei zur Widerstandshandlung, da sie ihm seine menschliche Würde erhielt und ihm lange Zeit die Kraft zum Überleben gab. Er war Protokollant dieser Zeit und wurde ihr Opfer. Einzigartiger Ausstellungsort Nussbaums Werke ist das 1998 vom amerikanischen Architekten Daniel Libeskind entworfene Museum. Das Konzept des Hauses schafft einen räumlichen Kontext, in dem die tragische Verknüpfung von Leben und Schaffen des in Osnabrück geborenen Künstlers zum alles bestimmenden Eindruck wird. Das Felix-Nussbaum-Haus hat es sich zur Aufgabe gemacht, das historisch und künstlerisch wertvolle Erbe Felix Nussbaums zu bewahren und der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Familie Nussbaum (Felix Nussbaum vorne, hinter ihm die Eltern Rahel und Phillip Nussbaum, links der Bruder Justus Nussbaum), Foto 1915 Foto: Felix Nussbaum-Haus Osnabrück
Felix Nussbaum wird am 11. Dezember 1904 in Osnabrück als zweiter Sohn von Philipp Nussbaum und seiner Frau Rahel geboren. Er wächst in der Geborgenheit einer gutbürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie auf. Der Vater betreibt mit seinem Vetter Simon Gossels in Osnabrück eine Eisenwarenhandlung. Kunst und Musik gehören ebenso zum bürgerlichen Habitus der lebensfrohen Familie wie Ferien auf Norderney und im mondänen Ostende. Der Vater ist begeisterter Hobbymaler, der in seiner Jugend selbst gern Maler geworden wäre. Er fördert stark die künstlerischen Interessen seines jüngsten Sohnes Felix und unterstützt ihn in seinem Vorhaben, Malerei zu studieren. Die Familie, die eine Villa in der Schloßstraße in Osnabrück bewohnt, lebt nicht streng nach den religiösen Gesetzen, sondern ist dem Reformjudentum zuzurechnen. Als 21-Jähriger malt Felix Nussbaum mit dem Gemälde "Die beiden Juden" noch sein Bekenntnis zum Judentum, mit dem er sich später in seiner Malerei nur mehr gelegentlich auseinander setzt. Das Innere der Osnabrücker Synagoge wird in dem Gemälde von 1926 zum Schauplatz eines Generationenkonflikts: Im Vordergrund erscheint der Gemeindekantor Abraham Elias Gittelsohn als strenger Repräsentant eines orthodoxen Judentums. Doch neben der prächtigen Innenarchitektur der Synagoge ist der junge Maler das zentrale Motiv des Bildes – seinen skeptischen Blick richtet er direkt auf den Betrachter. In diesem Bild thematisiert er den Konflikt zwischen ständigen Anpassungsleistungen und der Wahrung seiner jüdischen kulturellen Identität, der ihm mit der assimilierten Generation seiner Eltern ständig vor Augen war. Wenn sich Nussbaum mit diesem Bild auch selbstbewusst zum Judentum bekennt, wollte er doch nicht als "jüdischer" Maler rezipiert werden. In der Anfangszeit seines Studiums fehlt diese Thematik fast vollständig.
Felix Nussbaum, Selbstbildnis mit grünem Hut, 1927, Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
1922 beginnt Nussbaum sein Kunststudium in Hamburg, geht aber bereits im Sommersemester 1923 in die Kunstmetropole Berlin. Er studiert unter anderem bei Cesar Klein und ist ab 1928 Meisterschüler von Hans Meid. Im selben Jahr hat Nussbaum, erst 23-jährig, seine erste Einzelausstellung in der Galerie Casper am Halleschen Ufer. In der Frühzeit sind noch starke Anklänge an van Gogh zu entdecken, die auf die Auseinandersetzung mit der Kunstwelt seines Vaters verweisen. Felix Nussbaums „Selbstbildnis mit grünem Hut“ von 1927 ist eine Hommage an die vielen Selbstporträts van Goghs. Die Beschäftigung mit den Idolen der väterlichen Kunstwelt verliert in Felix Nussbaums Zeit in Berlin an Bedeutung. Stilistische Einflüsse der Henri Rousseau, Georgio de Chirico und Carl Hofer lösen van Gogh als Nussbaums geistiges Vorbild ab. Mit seinen Bildern erntet er schon früh viele wohlwollende Kritiken – Die Rezensenten heben besonders die "eigenartige Phantastik von Liebe und Tod, von Unschuld und Galgenhumor, von Gruseligkeit und kindlichem Entzücken" hervor. Das Gemälde "Funkturm Nr. 2" ist ein Beispiel für seine vielgelobten humoristischen Bildideen. Daneben erscheinen Themen wie Melancholie und Trauer, die sich nur vordergründig ironisch geben. Sie fördern teilweise Nussbaums Ängste zu Tage, die er über seine Malerei zu beschwichtigen versucht. Eine Reise nach Südfrankreich im Jahre 1928 nutzt Nussbaum um die Vorbilder seiner Jugend noch einmal aufleben zu lassen, aber auch um sich letztendlich von ihnen zu entfernen. In den Bilder "Les Alyscamp" und "Landschaft in der Provence" verweist ein Mann mit Strohhut, der auf einen Stock gestützt auf einer Straße entlanggeht und das Bild zu verlassen scheint, auf sein großes Vorbild van Gogh, von dem er sich verabschiedet und mit einem eigenen Stil nach Berlin zurückkehrt.
'Erinnerung an Norderney', 1929
Felix Nussbaum mietet 1929 sein eigenes Atelier in der Xantener Straße und macht auch damit deutlich, dass er sich als selbstständiger Maler niedergelassen hat. Das aus dem gleichen Jahr stammende Gemälde "Erinnerung an Norderney" thematisiert diesen Abschied von der Jugend: Vor der pittoresken Fassade des Hotels Villa Nordsee steht eine überdimensionale Postkarte, durch die sich die Gaffel eines Kutters bohrt. Die seltsam eingefrorene Darstellung der rousseauhaften Figuren scheint auf die vergangene glückliche, kindlich heitere Welt zu verweisen, wie der Text der Postkarte vermuten lässt: "Gefühl von Trauer – welches, gleich einem Rade über unser Gemüt rollt. Aber trotzdem bin ich kein Spielverderber – und sind wir eine ganz fidele Gesellschaft. Überlassen wir also die Dinge, die unserem Auge unsichtbar sind, den modernen Malern. Für heute innigste Grüße und Küsse Euer Euchl.(iebender) Sohn Felix". Gleichzeitig bekennt sich Nussbaum damit zur mimetischen Kunst, wohl wissend, dass es hinter der sichtbaren Welt eine Realität gibt, wie etwa seine Ängste und Bedrohungen, für die er in seiner Malerei die adäquaten Ausdrucksmittel sucht. Hier bedient er sich ansatzweise der metaphysischen Formen de Chiricos. Für das Unerklärliche und Unsichtbare inhaltlich und formal eine eigene Sprache zu finden, gelingt ihm erst später. Eine besondere Rolle im Frühwerk Felix Nussbaums nimmt das Bild „Der tolle Platz“ aus dem Jahre 1931 ein, das zur Sammlung der Berlinischen Galerie gehört, mit dem es Nussbaum gelang, ein Schlüsselbild für die Kunstsituation um 1930 zu schaffen. Es thematisiert den Generationenwechsel, wobei das Bild auch als deutliche Kritik an der Preußischen Akademie zu verstehen ist. Nussbaum zieht hier mit einer Gruppe gleichgesinnter junger Künstler gegen die Akademie zu Felde, wobei er allerdings einen freundlichen Ton in diesem "Künstlerspaß" beibehält. Liebermann soll vor diesem Bild sogar amüsiert gesagt haben: "Der wird mal beinah so jut wie ick selber."
'Porträtduelle', Bildbericht vom Aufbau der Ausstellung von Georg Stein, 1931, Foto: Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Seit 1931 ist der Osnabrücker Künstler eine feste Größe unter den Kunstschaffenden der jungen Generation in Berlin. Als Krönung dieses schnellen Erfolgs reist Felix Nussbaum 1932 als Studiengast der Deutschen Akademie, Villa Massimo, nach Rom. Sein Widerstreben, nach Italien zu reisen - "Da werde ich sicher kitschig, da unten" - verarbeitet Nussbaum in seinem Gemälde "Narziß", bei dem es sich wiederum um eine künstlerische Selbstreflektion handelt. Für Nussbaum war Italien das Land einer bereits vergangenen Epoche, die Verkörperung des Kunstverständnisses des Bildungsbürgertums und somit letztlich auch seines Vaters, von dessen Kunstwelt er sich inzwischen gelöst hatte. Für Felix Nussbaum kamen die Impulse für die Kunst aus Paris und nicht aus Italien, wo ihm "alles so archäologisch" vorkommt. Er fährt im Oktober 1932 trotzdem nach Italien und wird nie nach Deutschland zurückkehren. So sind die ersten Arbeiten Nussbaums in Italien geprägt von der Ablehnung eines „kitschigen“ Klischees eines Sehnsuchtsland – mit trostlosen Motiven wie alten Mauern und verlassenen Höfen zeichnet Nussbaum ein morbides Bild vom Süden.
Felix Nussbaum, Friedhofsbank, 1935, Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Im Frühjahr 1934 trifft sich Nussbaum mit seinen Eltern, die am 26. Februar 1934 in die Schweiz emigrieren wollten, in Rapallo, wo er sie zum letzten Mal sieht. Die Eltern gehen wieder nach Deutschland zurück, da das Heimweh stärker ist, als die Angst vor der zunehmenden Bedrohung. Die Sorge um die Eltern spiegelt sich auch in seinen Gouachen "Friedhofsbank" und "Der kranke Reiter" wider. Während das alte Paar in der erstgenannten Arbeit dem Verlust des Liebgewonnen nachtrauert, verweist das zweite Blatt auf den Entschluss des Vaters zurückzukehren: Ohne nach vorn zu schauen, läuft der Reiter direkt dem Tod in die Arme. Felix Nussbaum bleibt im Ausland. Zusammen mit der polnischen Malerin Felka Platek, die er 1924 in Berlin kennen gelernt hat und die ihm in die Emigration folgt, trifft er von Paris kommend 1935 mit einem Touristenvisum im belgischen Seebad Ostende ein. Hier bekommt er zunehmend die Bedingungen der Emigration zu spüren: Der Kampf um die Aufenthaltsgenehmigungen, der ständige Wechsel der Pensionen, die fehlende Resonanz auf seine Kunst. Das "Selbstbildnis mit Geschirrtuch" schließt die Sequenz seiner Selbstbefragung ab. Als junger Mann mit nacktem Oberkörper stellt sich Nussbaum hier vor der dunklen Dachsilhouette von Ostende da. Er hat sich ein Küchentuch, wie es in Deutschland weit verbreitet ist, um seine Schulter gebunden. Es vermittelt ein wenig Häuslichkeit und repräsentiert ein kleines Stückchen Heimat. Insofern wirkt der Dargestellte, trotz der Blume hinter dem Ohr, nicht schelmisch, sondern verletzlich: als Mensch und als Künstler und seit den Nürnberger Gesetzen eben auch als Jude. Denn darauf verweist nicht nur die seltsame Kopfbedeckung, sondern auch das Küchenhandtuch, das er sich wie einen Gebetsmantel um die Schultern gelegt hat. Wie kein anderer Künstler vermochte Felix Nussbaum in seinen Selbstbildnissen diesen Gefühlszustand der Emigranten, den Verlust der inneren Sicherheit, in seinen Bildern umzusetzen. Neben der Selbstvergewisserung über das Selbstporträt versucht Nussbaum, wie in Italien, sich die fremde Welt durch seine Bilder anzueignen. Doch der touristische Blick hat sich gewandelt, es entstehen Hafen- und Straßenmotive von sich stetig verdunkelnder Eintönigkeit. Es sind Orte der Verlassenheit, der Aussichtslosigkeit und des untätigen Wartens. Zunehmend wird die Empfindung von Bedrohung in den Themen seiner Bilder sichtbar, so zum Beispiel in dem Gemälde "Krakenpoller", in dem der zentrale Bildgegenstand durch bedrohliche Form und Größe zu einer Metapher dieses Gemütszustandes wird. Ebenso die "Fischfrau im Hafen", die keineswegs harmlos, sondern bedrohlich lauernd wirkt. Als endgültigen Abschied von der Hafenstadt Ostende malt Nussbaum einen "Mastenwald" voller symbolischer Anspielungen. Dieses Bild ist bereits in Brüssel entstanden, denn im September 1937 hatten Felix Nussbaum und Felka Platek Ostende bereits verlassen und waren nach Brüssel gezogen, wo sie im Oktober heirateten. Das Bild scheint eine Zusammenfassung der in Ostende gemachten Erfahrungen zu sein: Das sinnlose Warten, ständig gegen den Sturm ankämpfen zu müssen, der ihm hart ins Gesicht weht, seine Perspektivlosigkeit als Künstler im Exil - dafür stehen die ineinander verkeilten Masten, bei denen es sich eher um Künstlerutensilien handelt, die somit zur Metapher der persönlichen Situation werden.
Felix Nussbaum, Selbstbildnis mit Geschirrtuch, 1936, Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Felix Nussbaum, Die Perlen, 1938, Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Nussbaum freundet sich mit dem belgischen Bildhauer Dolf Ledel an und erhält über dessen Kontakte einige wenige Ausstellungsmöglichkeiten. 1938 nimmt er an der Ausstellung des Freien Künstlerbundes in Paris teil. Die "Freie Deutsche Kunst", so der Titel, richtet sich gegen die im gleichen Jahr in München stattfindende Nazi-Schau "Entartete Kunst". Nussbaums Beitrag zu dieser Ausstellung, die Perlen und das Stillleben mit vergittertem Fenster, sind politische Statements gegen Krieg und Malverbot. Es muss für ihn enttäuschend gewesen sein, dass diese Bilder wegen zolltechnischer Komplikationen nicht ausgestellt wurden - in der Folgezeit entstehen keine explizit "politischen" Arbeiten mehr. Während Felix Nussbaum im "Mastenwald" ein letztes Mal aus der genauen Beobachtung der äußeren Wirklichkeit seine persönliche Metaphorik entwickelt, wird er sich künftig mit den Pathosformeln von Mimik und Gestik als dem adäquaten Ausdruck der inneren Wirklichkeit befassen. Für ihn liegt hierin die einzige Möglichkeit, auf die zunehmende Bedrohung zu reagieren. Das "Selbstbildnis im Atelier", das um 1938 entstanden ist, kann als das Bild des Künstlers in der Emigration angesehen werden. Es ist sowohl politisch zu interpretieren als auch persönlich: Der Künstler ist unfähig sich zu äußern, denn als Emigrant ist er mit Arbeitsverbot belegt. Gleichzeitig vermittelt das Bild das Entsetzen über die eigene Situation der Stagnation und fehlenden Anerkennung. Dieser versucht er mit Anpassung an den von der École de Paris geprägten belgischen Kunstgeschmack zu begegnen. "Eine kurze Zeit lang versuchte er sich surrealistisch, nicht ohne Witz." erinnert sich sein Freund Fritz Steinfeld. Trotz des eindeutig formalen Anliegens dieser Werke erscheint immer auch Nussbaums reale Situation gespiegelt: Stillstand, Orientierungslosigkeit, Irritation. Das Bild "Maler und Modell", das ebenfalls um 1938/39 entstanden ist, sendet er seinem Vater nach Amsterdam als eine Art Bericht über seine Situation als Künstler. Sein "Selbstbildnis in surrealer Landschaft" beschreibt mit den formalen Mitteln der École de Paris wie das "Selbstbildnis im Atelier" seine Verunsicherung: Entweder bleibt er seiner Kunst treu, ohne jegliche Resonanz oder er passt sich an, wobei er die Gefahr sieht, im bloß Formalen stecken zu bleiben, wie es das Bild "Surreale Landschaft mit Leierkastenmann" umzusetzen scheint. Der Leierkastenmann muss für Nussbaum eine besondere Symbolkraft besessen haben, da er diese Figur in wichtigen Bildern immer wieder als Symbol seines Künstlertums einsetzt. Er ist hier gesichtslos und im Schatten stehend dargestellt ist und könnte auf seine Situation als Künstler unter den Bedingungen des Exils verweisen.
Felix Nussbaum, La nature morte (Stillleben mit Pampelmuse), 1940, Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
"La nature morte de Felix Nussbaum", das in einem Fetzen der Zeitung "Le Soir" auf den 16. April 1940 datiert ist, entstand kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen am 8. Mai 1940 in Belgien. Zwei Tage später wird Felix Nussbaum, wie alle wehrfähigen Reichsdeutschen, von den belgischen Behörden verhaftet und nach tagelanger Fahrt in einem vernagelten Viehwagon im südfranzösischen Lager St. Cyprien, der "Pyrenäen-Hölle", interniert. Unter dem Schock der Lagererfahrung unterschreibt Felix Nussbaum im August 1940 ein Papier der französischen Lagerleitung, in dem er die "Rückführung ins Reich" beantragt. Bei einer Zwischenstation in einer Kaserne in Bordeaux gelingt ihm zusammen mit einem Schulfreund, den er aus Osnabrück kennt, die Flucht. Er kehrt nach Brüssel zurück, wo Felka Platek auf ihn wartet. In den folgenden Jahren malt er immer wieder Bilder seiner Lagererfahrungen. Die Todesnähe durch Krankheiten und die unerträglichen hygienischen Verhältnisse setzten in ihm Ängste frei, dass "man sie alle umbringen werde." Das Lager wird ihm schließlich zu einem Synonym der Gefangenschaft im besetzten Belgien, in dem die Gesetzgebung der deutschen Militärregierung den Juden jede Möglichkeit zum Leben nimmt. Als mit dem so genannten "Judenstern-Erlaß" am 28. Mai 1942 die Gesetzgebung gegen Juden in Belgien ihren Abschluss findet, beginnt im August 1942 die Deportation aus den besetzten Gebieten in die Vernichtungslager des Ostens. Als Nussbaum im Herbst 1942 daraufhin fluchtartig sein Atelier verlässt, bleiben drei großformatige Bilder zurück. In ihnen beschäftigt sich Nussbaum mit den ihm verbleibenden Möglichkeiten der Reaktion auf die Bedrohung seiner Existenz durch die Gesetzgebung. Flüchten oder ausharren ist die ihn in dieser Zeit beschäftigende Frage.
Das Gemälde „St. Cyprien“ auf dem Balkon der Wohnung in der Rue Archimède in Brüssel, Amateuraufnahme 1942 Foto: Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
In "St. Cyprien" finden sich die Situation gemeinsamer Gefangenschaft und der Gedanke an Flucht. Grundlage des Bildes ist die Schilderung der Lagersituation, wie Nussbaum sie bereits in einer Vorzeichnung festgehalten hatte, die 1940 unmittelbar nach seiner Flucht aus St. Cyprien entstand. Hier handelt es sich vor dem Hintergrund der Lagererfahrung um eine allegorische Darstellung, in diesem Fall bezugnehmend auf die vier "Charaktere" der Söhne aus der Pessach-Haggadah: der Böse, der Weise, der Naive und der "der nicht zu fragen versteht". Keine dieser Geisteshaltungen bietet für Felix Nussbaum eine Antwort auf die Frage nach Rettung. Er selbst trägt Wanderstab und Bündel und scheint zur Flucht gerüstet: aber wohin? - wie der Blick auf den von Stacheldraht zusammengehaltenen Globus zeigt. Eine mögliche Erklärung für das Ausharren könnte das Gemälde "Soir" bieten, das Felix Nussbaum und Felka Platek in einer seltsam sperrigen Umarmung zeigt. Er selbst, halb angekleidet, scheint zur Flucht bereit, seine Frau, die auf seinem linken Fuß steht, scheint ihn an der Flucht zu hindern. Im letzten Bild dieser Sequenz, dem "Orgelmann", zeichnet Nussbaum ein Bild des allgemeinen Untergangs, der sich ebenso auf sein Künstlertum bezieht, wie die Verwendung seiner häufig verwendeten Metapher zeigt. Er hat aufgehört zu spielen, die Kurbel fehlt und die Orgelpfeifen sind zu Knochen geworden. Teilnahmslos schaut er aus dem Bild heraus, die Szenerie des Untergangs in seinem Rücken. Er weiß, dass es für eine Flucht zu spät ist. Aus eigener Kraft wird es keine Rettung mehr geben. Die von Nussbaum in seinen Bildern thematisierten Reaktionsmöglichkeiten - zu fliehen oder auszuharren- sind hinfällig: Nussbaum wird von der Gestapo gesucht. Seit dem Beginn der Deportationen werden Nussbaums Bilder zum Tagebuch der Isolation des im Versteck vor den Nazis lebenden Juden.
Felix Nussbaum beim Malen des Bildes „Der Sturm“ (Die Vertriebenen), Amateurfoto 1941
Felix Nussbaum und Felka Platek finden, nachdem sie ihr Atelier fluchtartig verlassen haben, zwischen Herbst 1942 und März 1943 ein Versteck bei der befreundeten Familie Ledel. Anfang März entschließen sich die Freunde zur Flucht in die Ardennen. Sie wollen die Nussbaums mitnehmen, doch Felka hat nicht mehr die Kraft und entschließt sich, in Brüssel zu bleiben. Felix Nussbaum lässt sie nicht allein, und beide gehen in ihre Wohnung in der Rue Archimède zurück. Ihr Vermieter hatte ihnen im Haus eine versteckte Mansarde eingerichtet, so dass er bei den Razzien der Gestapo stets eine leere Wohnung vorweisen konnte. In dieser Zeit des angstvollen Hin und Her zwischen Mansarde und Wohnung entstehen nur noch Stillleben in Bleistift und Gouache, die tagebuchartig genau datiert sind. Es entstehen vorerst keine Ölgemälde mehr, denn der Terpentingeruch hätte sie verraten. Nussbaums letzte Bilder entstehen, nachdem er im Mai/Juni 1943 im Souterrain der Rue General Gatry ein Atelier bezieht. In tiefer gefühlsmäßiger Anteilnahme gestaltet er jene letzten Bilder, die vom jüdischen Schicksal handeln und mit denen er sich die Hoffnung zum Überleben erhält. Er gestaltet zwei komplementäre Selbstbildnisse, in denen er sich über seine Existenz Klarheit verschaffen will. Im "Selbstbildnis an der Staffelei" versichert sich Felix Nussbaum seiner Bestimmung als Künstler. Sein Blick ist kühl und selbstbewusst und keineswegs angsterfüllt, wie man es in seiner Situation erwarten würde. Er gibt den Blick auf sein Inneres nicht frei, denn der Blick auf das Bild auf der Staffelei ist nicht möglich. Er entwickelt hier seine eigene Farbenlehre, wie die offenen Farbfläschchen zeigen, die Ausdruck seiner Gemütsverfassung sind. Braun, die Farbe des Leidens, ist die beherrschende Farbe des "Orgelmanns", Blau, die Farbe der Sehnsucht im "Selbstbildnis an der Staffelei", Grün beschreibt als Farbe des Todes die Grundstimmung des "Selbstbildnisses mit Judenpaß". In diesem Gemälde macht sich Nussbaum im August 1943 an dem ihm aufgezwungenen Bild des Verfolgten mit Judenstern (den er im Übrigen nie getragen hat) und Judenpass klar, dass er Jude im rassistischen und rechtlichen Sinn der Nazis ist und dass er deren tödlichen Vernichtungsmaschinerie nicht entkommen kann. Er ist wie ein Gefangener in die Ecke gedrängt und zeigt dem Betrachter seinen Pass, aus dem sein Geburtsort gelöscht und seine Nationalität mit "sans" (ohne) überschrieben ist. Er schaut den Betrachter nicht ängstlich, sondern voller Selbstbewusstsein provozierend an. Ihn klagt er mit seinem Blick an und zeigt ihm damit, dass er sich wehrt. In der Folge entstehen Bilder unter dem Zeichen des Judensterns, die weit über sein persönliches Schicksal hinaus weisen und die zu den Bildern des jüdischen Schicksals werden.
Felix Nussbaum, Jude am Fenster, 1943, Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Seit dem "Orgelmann" weiß Nussbaum, dass er sich nicht wird retten können, aber er hört nicht auf, sich mit seiner Malerei zu "wehren". Seine letzten Bilder sind von tiefer Anteilnahme gekennzeichnet: Das ohnmächtige Warten der vom Tod bedrohten Juden ist das Thema. Das "Trauernde Paar" vom 6. Dezember 1943 zeigt dieses stumme regungslose Verharren, das kennzeichnend für diese Situation ist. Dieses Bild hielt Nussbaum für eine eher private Analyse seiner Situation. Der "Jude am Fenster" hingegen könnte als eine "politische" Fassung betrachtet werden, in dem es ihm um die Darstellung des von der bürgerlichen Gemeinschaft Ausgestoßenen geht. Kennzeichnung des Außenseiters ist der Flicken. Hier kommt der Judenstern hinzu, der den in seinem Zimmer wie in einer Zelle Gefangenen als Juden kennzeichnet. Da durch ein Fenster der Blick nach draußen noch möglich erscheint, liegt in diesen Bildern immer noch ein Funken Hoffnung. Der militärische Sieg über Nazideutschland scheint in greifbare Nähe zu rücken, als ab 1943 die Niederlagen in Stalingrad und Nordafrika ein Ende des Leidens vermuten lassen. So sind die Vorzeichnungen zu Nussbaums letzten großen Gemälden noch von dieser ansatzweisen Hoffnung geprägt. In dem schließlich umgesetzten Gemälde "Die Verdammten" ist jeder Hoffnungsschimmer wieder geschwunden. Es wird zu einem Bild des unentrinnbaren Todes. Hier führt er Bildnisse und Gesten seit "St. Cyprien" allegorisch in einem Bild der zwölf Stämme Israel zusammen. Als im Untergrund lebende Juden sind sie in der Öffentlichkeit zusammengetrieben und warten ohne Hoffnung auf ihren Abtransport. Nussbaum selbst in ihrer Mitte trägt nur noch Fetzen am Körper. Sein Gestus entspricht dem "Selbstbildnis mit Judenpaß". Seinen Judenstern hat er abgelegt, ebenso seinen Hut, das Zeichen der Würde, der durch eine Malerkappe in der grünen Farbe des Todes ersetzt worden ist. Skelette tragen aus einer Seitenstraße Särge in das Bild mit den Nummern 25.367 und 25.368. Eine Zahl, die fast exakt der Zahl der aus Belgien deportierten Juden entspricht. In der Vorzeichnung versperren die Sargträger noch nicht die Fluchtmöglichkeit durch die im Hintergrund angedeutete Straße. Zur Planänderung hat wahrscheinlich das Erlebnis des kleinen Jaqui beigetragen, der des Öfteren Nussbaum in seinem Atelier besuchte. Durch eine kindliche Unachtsamkeit, die seine Identität als Jude preisgibt, ist Nussbaum sicher, dass seine Entdeckung nur noch eine Frage der Zeit ist. Nussbaum porträtiert den Jungen Ende Januar 1944 in dem anrührenden Bild "Jaqui auf der Straße". Er gestaltet hier im Mitleiden mit dem hilflosen, alleingelassenen, vom Tode bedrohten Kind nicht nur seine eigene Situation, sondern das Bild besitzt darüber hinaus einen anklagenden Charakter gegen die menschenunwürdigen Verhältnisse. In seinem letzten Bild, einem "Triumph des Todes", zweifelt Nussbaum schließlich am Sinn seiner Kunst, die ihm so lange Kraft zu leben gab. Es gestaltet nicht einen Totentanz im klassischen Sinne, sondern in diesem Bild triumphiert der Tod lärmend über die erfolgreiche Vernichtung der abendländischen Kultur, deren Zeugnisse zerstört im Schutt liegen. Dem verwesenden Orgelmann im Bildzentrum gibt Nussbaum seine Porträtzüge. Der Orgelmann, sein alter ego, schaut nunmehr interessenlos vor sich hin. Lediglich die Papierdrachen, die aus dem Bild fortgetragen werden, zeigen noch Emotionen, die denen der Dargestellten in St. Cyprien entsprechen. Die Farbe im Bild ist erloschen, alles ist in ein fahles Braun getaucht. Ein abgerissenes Kalenderblatt zeigt das Datum, an dem Felix Nussbaum das Bild und mit der Welt abschloss: 18.4.1944, Dienstag. Am 20. Juni 1944 werden Felix Nussbaum und Felka Platek auf Grund einer gezielten Denunziation verhaftet und über das Sammellager Mechelen am 31. Juli 1944 mit dem letzten von insgesamt 26 Deportationszügen aus Belgien nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Am 6. September 1944 marschieren die Alliierten in Brüssel ein.
Felix Nussbaum, Triumph des Todes (Die Gerippe spielen zum Tanz), 1944, Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Felix Nussbaum, Selbstbildnis an der Staffelei, 1943, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Die 2006 erstmals publizierte Online-Datenbank umfasst die Gemälde, Grafiken und Gelegenheitsarbeiten des Künstlers Felix Nussbaum aus den Jahren 1919 bis 1944 und bietet neben farbigen Abbildungen zu allen Arbeiten detaillierte Werkangaben sowie Informationen zum Gesamtwerk des Künstlers.
Die Online-Publikation des aktualisierten Werkverzeichnisses ist Ende 2024 geplant.
Felka Platek, Porträt einer jungen Frau (Selbstporträt ?), 1927, Gouache und Öl auf Papier, 70 x 50 cm, Foto © Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Felka Platek wurde 1899 in Warschau geboren und zog in den zwanziger Jahren nach Berlin, wo sie eine künstlerische Ausbildung bei Ludwig Meidner begann. Dort lernte sie um 1925 Felix Nussbaum kennen und heiratete ihn 1937 im belgischen Exil. 1944 wurden die beiden jüdischen Künstler in Auschwitz ermordet. Die Malerin Felka Platek steht als Beispiel für jene Frauen, die in der Aufbruchstimmung der Weimarer Republik ihre Chance nutzten, Weiblichkeitsklischees zu durchbrechen. Ihre Lebensentwürfe wurden jedoch durch den Nationalsozialismus zerstört. Das Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück besitzt mit zwei Ölgemälden und 28 Gouachen die weltweit größte Felka-Platek-Sammlung. Plateks Werke sind in der Vergangenheit nur gelegentlich im Kunsthandel aufgetaucht. Auch über ihr Leben ist nicht viel bekannt. Folglich steht die Forschung über Felka Platek noch an ihrem Anfang. Felka Plateks Bilder spiegeln den Lebensweg der Künstlerin wieder und sind auch exemplarisch für die Arbeiten der Künstlerinnen der "Verschollenen Generation" zu sehen. Viele Künstlerinnen und Künstler dieser Generation sind erst nach Jahrzehnten wieder entdeckt worden. Viele Künstler und ihre Werke, wie Felka Platek und ihr Œuvre, warten noch darauf.
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Biografie
1899 | am 3. Januar wird Felka Platek in Warschau geboren |
1923/24 | Ankunft in Berlin, Felka Platek will sich mit ihrer Malerei den Lebensunterhalt verdienen |
1924 | Immatrikulation an der Lewin-Funcke-Schule, Beginn der Ausbildung zur Portrait-Malerin im Wintersemester 1924/25, Immatrikulation in der Ludwig-Meidner-Klasse, lernt ihren späteren Ehemann Felix Nussbaum bei gemeinsamen Unterrichtsstunden kennen |
1929 | Einzug in eine gemeinsame Wohnung |
1932 | Felka Platek verlässt Berlin und folgt Felix Nussbaum nach Rom |
1935 | endgültige Emigration nach Belgien (Ostende) |
1937 | Ankunft in Brüssel, am 9. November Heirat mit Felix Nussbaum |
1940 | Besetzung Belgiens durch Deutschland |
ab 1942 | werden Felka und Felix Nussbaum von der Gestapo gesucht, sie verstecken sich an unterschiedlichen Orten in Brüssel |
1944 | am 20. Juni wird Felka Platek-Nussbaum zusammen mit ihrem Mann entdeckt, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet |
Katalog Es ist ein Katalog über Felka Plateks Leben und Werk im Verlag des Museums- und Kunstvereins Osnabrück erschienen: Felka Platek. Malerin und Lebensgefährtin. (Verlag des Museums-und Kunstvereins Osnabrück Landschaftsverband Osnabrück), Christel Schulte, 2003. 24 Seiten, zahlreiche Farb-Abbildungen, 5,00 Euro, ISBN 3-926235-25-X.
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