Der Koffer ist eigentlich ein typisches Objekt, um Migrationsgeschichte(n) zu erzählen. Er symbolisiert das Weggehen und Ankommen, das Ein- und Auspacken. Er steht für Aufbruch oder Flucht, vielleicht auch für so etwas wie ‚Heimat auf Reisen‘. Gelegentlich kommt es mit Koffern aber auch etwas oder ganz anders, wie die folgende Geschichte von Frau Önel-Naundorf sichtbar macht:
„Meine Mutter ist Jahrgang 1934. Den Koffer hatte meine Großmutter bereits vor der Geburt meiner Mutter und lebte mit ihrem Ehemann und drei Kindern viele Jahre in der Türkei in einem Haus, das die Familie gekauft hatte. Aufgrund von nachbarschaftlichen Dissonanzen sind meine Großeltern 1966 nach Ankara umgezogen und haben dort eine Wohnung gekauft. Der Koffer kam mit.
Als mein Vater 1966 nach Deutschland kam, zog meine Mutter gemeinsam mit mir und meinem Bruder zunächst nach Ankara zu meinen Großeltern. Sechs Monate später zogen wir drei nach Deutschland nach – ohne den Koffer. Der blieb weiterhin bei der Großmutter.
1975 verstarb mein Großvater, weshalb wir 1976 meine Großmutter zu uns nach Osnabrück holten – ohne den Koffer. Der Koffer ‚wartete‘ weitere 15 Jahre – so lange lebte meine Oma hier bei uns – in der nicht bewohnten, aber vollständig eingerichteten Wohnung in Ankara. 1993 verstarb meine Oma.
1994 bekam mein Bruder als Projektleiter in Ankara eine Stelle und zog in die Wohnung meiner Großmutter. Meine Mutter ging ebenfalls zurück in die Türkei, um gemeinsam mit meinem Bruder in Ankara zu leben. Der Koffer in der Wohnung war weiterhin nicht von Bedeutung. Nach Beendigung des Projektes kehrte mein Bruder wieder nach Deutschland zurück – auch jetzt ohne den besagten Koffer.
2002 zog meine Mutter zu der Familie ihrer Schwester nach Izmir und kaufte sich dort eine Weile später eine eigene Wohnung. Der Koffer war noch immer in Ankara, bis die Wohnung einige Zeit später verkauft wurde und der Koffer nun nach Izmir zu meiner Mutter kam.
Auch hier blieb er 15 Jahre lang ‚unbeachtet‘ bei meiner Mutter, bis diese ihre Wohnung in Izmir im November 2017 auflöste endgültig nach Osnabrück zog. Diesmal durfte der Koffer mit und hat nun im Kulturgeschichtlichen Museum in Osnabrück seine endgültige Bleibe bekommen, um etwas über Migrationsgeschichte zu erzählen.“
(Ayse Önel-Naundorf)
Titel: Koffer
KünstlerIn/HerstellerIn: unbekannt
Material/Technik: Leder, Stoff, Metall
Herstellungsort: Türkei
Datierung: 1920er oder 1930er Jahre
Maße: 35 x 60,5 x 17 cm
Aufbewahrungsort: Osnabrück, Kulturgeschichtliches Museum, A 5773
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